Sonntag, 11. November 2012

Das Strafbefehlsverfahren – Anordnung des persönlichen Erscheinens


Das Strafbefehlsverfahren führt oftmals ein stiefmütterliches Dasein bei Strafverteidigern. Böse Zungen behaupten, das läge an der wenig charmanten Verfahrensart. Mandant bekommt Post von der Polizei, gibt seine Version des Geschehenen zum Besten, monatelang tut sich nichts, und dann folgt die Geldstrafe. Das sitzt, hat Hand und Fuß – wo soll man hier noch was bewegen können? 

Unabhängig davon, ob man als Verteidiger eben dieser Ansicht ist oder nicht, bietet aber eben dieses Strafbefehlsverfahren einen netten kleinen umzäunten Bereich auf dem großen Spielplatz namens Strafprozessordnung, auf dem man sich als Strafverteidiger so richtig austoben und so manch eine(n) Richter(in) in die Enge treiben kann. Hier möchte ich die Kollegen nur dazu anhalten, mit dem richtigen Mandanten an ihrer Seite den Weg der unerschütterlichen Rechtsverdreher zu beschreiten, und sich in den Schoß des § 411 Abs. 2 StPO zu schmiegen. Gerade außerhalb unseres geliebten Tiergartens verspricht die Vertretung des Mandanten im Strafbefehlsverfahren durch einen Verteidiger hitzige Diskussionen mit den Amtsgerichten. Wenn man besonders viel Glück hat, lockt man auch noch einen netten Kollegen - vielleicht als Nebenkläger - auf das recht glatte Eis rund um das Thema Fernbleiben von der Hauptverhandlung. Dann schmeißen alle mit Begriffen wie Haftbefehl, Vorfühlbefehl, Kostenlast und anderen die Verteidigung einschüchternden Begriffen um sich, um das Revier zu markieren.


Das Strafbefehlsverfahren (ohne Hauptverhandlung) hat gegenüber dem normalen Strafverfahren (mit einer öffentlichen Hauptverhandlung) eine Besonderheit: Als Betroffener kann man sich gem. § 411 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten lassen. Es bleibt dem Angeschuldigten damit erspart, selbst vor Gericht zu erscheinen. Dies kann für den Betroffenen ein großer Vorteil sein. Der Verteidiger benötigt für die Vertretung lediglich eine schriftliche Vollmacht von seinem Mandanten.

Wie leitet sich dieser rechtlich interessante Aspekt her? 

Der Verteidiger ist grundsätzlich nicht Vertreter des Beschuldigten, sondern selbständiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Nach § 137 StPO ist der Verteidiger Beistand des Angeklagten; als Vertreter gem. § 234 StPO tritt er an dessen Stelle. Damit sind Verteidigung und Vertretung des Angeklagten zu trennen. 


Trotz der Möglichkeit der Vertretung gemäß § 411 Abs. 2 S. 1 StPO ist das Gericht befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten nach § 236 StPO anzuordnen. Letzteres berührt jedoch nicht das Recht des Angeklagten, sich vor Gericht vertreten zu lassen. 

Beachtet der Angeklagte die Aufforderung nicht, kann das Gericht ihn vorführen lassen. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob trotz Vertretung des Angeklagten sein persönliches Erscheinen angeordnet werden soll. Pflichtgemäß ist die Ermessensausübung bei Anordnung des persönlichen Erscheinens, wenn diese zur Aufklärung des Sachverhalts geboten ist und dem Angeklagten das Erscheinen unter Berücksichtigung seiner Belange und der Bedeutung der Strafsache zugemutet werden kann. Es bedarf also einer umfassenden Würdigung aller für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte. Für diese Interessensabwägung bedeutend ist, dass auch bei weiter Entfernung zwischen dem Wohnsitz des Angeklagten und dem Gerichtsort das Gericht zur Identifizierung des Täters an Hand von Lichtbildern das persönliche Erscheinen des Angeklagten anordnen darf. 

Erscheint der Angeklagte trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht, ist das Gericht nicht gezwungen, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. Dies ist darin begründet, dass grundsätzlich auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden kann. Gem. § 236 StPO kann das Erscheinen des Angeklagten durch Vorführungsbefehl oder Haftbefehl erzwungen werden. Das Gericht muss bei Anordnung von Zwangsmitteln jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Wenn das Erscheinen des Angeklagten schon mit einfacheren Mitteln sicher erreichbar ist, dürfen Zwangsmittel nicht angewendet werden. Daraus ergibt sich, dass der Vorführungsbefehl dem Haftbefehl vorgeht.

Die Vertretung in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger ist sicherlich nicht in jedem Fall sinnvoll, weil manchmal auch der persönliche Eindruck zählt. Allerdings gibt es durchaus Fälle, in denen auch aus Sicht der Verteidigung die Anwesenheit des Angeklagten entbehrlich ist, etwa dann, wenn es im Verfahren ausschließlich um rechtliche Fragen geht. Anwalt und Mandant werden deshalb vor der Hauptverhandlung gemeinsam entscheiden, ob die Anwesenheit im konkreten Verfahren erforderlich ist oder ob über den Einspruch auch ohne den Betroffenen verhandelt werden kann.

Wenn Sie also überlegen, ob Sie gegen einen Strafbefehl Einspruch erheben, sich aber scheuen, als Angeklagter vor Gericht zu erscheinen, dann sprechen Sie mit einem im Strafrecht versierten Rechtsanwalt. Er wird die Möglichkeit der Vertretung in der Hauptverhandlung mit Ihnen erörtern.

Pohl und Marx Rechtsanwälte - Verteidigung in Strafsachen
Rechtsanwalt Jan Marx

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